Manchmal wenn ich sonntags morgens im Garten sitze und die Kirchglocken in der Ferne läuten, schließe ich die Augen und denke an früher. An eine Welt, die noch heil (schien) und strukturiert war und (zumindest mir) Halt gab. Mein Leben war irgendwie geordnet. Sonntags gingen wir in die Kirche und danach gab es zu Hause ein schönes Mittagessen. Im Sommer aßen wir auf unserer Terrasse unter einer orangenfarbenen Markise, der große Hibiskus-Strauch mit seinen unzähligen blauen Blüten blühte. Ich habe diesen Strauch geliebt. Er war so wunderschön, hatte unzählige violett-blaue Blüten. Wenn ich an meine Kindheit denke, denke ich oft an Sommer und den Hibiskus. An den Geruch von frisch gemähtem Gras auf den Feldern hinter unserem Haus. Und an Apfelpfannkuchen. Der Strauch ist irgendwann kaputt gegangen, nachdem ich schon längst ausgezogen war. 

Wenn ich jetzt daran denke, scheint diese Welt weit weg zu sein. Gerade jetzt, in dieser Zeit, in der unsere Vorstellung der Welt wegzubrechen scheint, in der wir einer nie gekannten Situation ausgesetzt sind, bedeutet Halt so viel. Ich frage mich, was uns Halt in einer haltlosen Zeit geben kann. In der Religion kaum noch eine Rolle spielt. In der alles möglich schien und doch nicht ist. Schon gar nicht jetzt. In der wir uns noch nicht mal an anderen Menschen festhalten können? In der wir angehalten sind, uns zu distanzieren. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, dass man Halt in der eigenen Haltung findet*. Und genau so ist. Vielleicht hilft auch die Einstellung, dass man mit bestimmten Verhaltensweisen die Kontrolle behalten kann. Dass wir uns schützen können. Und dass es temporär ist. Dass es immer wieder Pandemien geben kann. Dass zum Leben Veränderung und Unsicherheiten dazu gehören. Dass wir lernen, damit umzugehen und nicht zuletzt, dass wir die Hoffnung nie aufgeben. Dass wir vielleicht auch endlich mal begreifen, unsere Welt nicht auszubeuten. Dass wir achtsam mit ihr umgehen. Wir haben nur diese eine. Wir entscheiden, wie wir mit ihr umgehen. Jeder trägt Verantwortung.

Vor ein paar Tagen erzählte mir meine Mutter, dass etwas ganz Wundersames passiert sei. Dass an der Stelle, wo früher mein geliebter Hibiskus stand, nach ca. 20 Jahren ein neuer Trieb von eben diesem herausgekommen sei. Ich staunte und dachte, wow, das Leben lässt sich nicht unterkriegen. Es gibt einen Weg, auch wenn man ihn vielleicht im Moment nicht sieht und man gar nicht mehr damit rechnet. Man darf den Glauben an die Kraft des Lebens nie aufgeben. Eines Tages wird es uns wieder Blüten schenken. 

* Prof. Dr. Jürgen Manemann